Abriß des Palasthotels 2001

Die barbarische Szene der Zerstörung ist so ungeschönt, daß jede nostalgische Erinnerung sofort verfliegt. Wenn der nächste Dinosaurierbagger seine Zähne in das Zement schlägt, ist der Betrachter wieder ganz im Hier und Jetzt. Die Szene ist so archaisch, daß man meint, in dieser Bauhölle die revolutionären Kräfte zu sehen, die Walter Benjamin 1928 in der abgerissenen Pariser Passage de l’Opéra erblickte. Wie Benjamin seine “Urgeschichte des 19. Jahrhunderts” dort beginnen läßt, könnte eine Urgeschichte des 20. Jahrhunderts, mit Benjamin und mit Bloch, hier beginnen.
Denn was hier abgeräumt wird, ist nicht nur eine Vergangenheit, der Pfeil weist nicht nur zurück. Es gibt eine seltsame Aktualität in dem ruinösen Anblick. Das Desaströse scheint mehr über den augenblicklichen Moment auszusagen, als über die vielen Momente, deren Andenken gerade beseitigt wird; die Zerstörung zeigt etwas, was das fertige Haus verborgen hatte. So meint man nicht nur das Verschwinden der Vergangenheit vor Augen zu haben, das Zerstörte scheint seine höchste Präsenz erst im katastrophischen Moment zu entbergen. Romantiker und andere Archäologen des Zeitgenössischen kommen vor dieser Ruine auf ihre Kosten.
(Text: Knut Ebeling – aus: Ein Bild aus Berlin, 2001)